Aktive Medienarbeit

Die aktive Gestaltung mit Medien bietet Chancen, um eigene Bedürfnisse, Erfahrungen und Themen mittels Medien zu artikulieren. Seit den 1980er Jahren bildeten sich in der aktiven Medienarbeit verschiedene Grundrichtungen heraus: eine journalistisch orientierte, eine medienästhetisch-formorientierte und eine alltags- und lebensweltorientierte Richtung (Niesyto 2009). Diese Grundrichtungen akzentuieren unterschiedliche Aspekte – in Theorie und Praxis gibt es diverse Schnittmengen. Die aktive Medienarbeit gilt als „Königsweg“ der Medienpädagogik: über den Prozess des Erstellens eigener Medienprodukte ist es vor allem möglich, sich mit Inhalten und medialen Ausdrucksformen intensiv zu befassen, Mediengestaltung mit Medienkritik zu verbinden, im gemeinsamen Produzieren soziale und kommunikative Kompetenzen zu erwerben und im Öffentlichmachen dieser Medienproduktionen eigene Themen zu artikulieren und Feedback zu erhalten.

Lebenswelt- und Handlungsorientierung zentral

Aktive Medienarbeit geht von den Lebens- und Medienwelten der Menschen aus und macht den Schritt von der Medienrezeption zur Medienproduktion. Medienarbeit knüpft an vorhandenen Medienkompetenzen an und entwickelt pädagogische Arrangements, um diese zu erweitern und zu vertiefen. Hierfür sind genügend Zeit für das Ausprobieren und Experimentieren notwendig. Die Förderung subjektiver Stil- und Symbolbildungen ist dabei ein wichtiges medienpädagogisches Ziel. Hierzu gehören u. a.: Gestaltungsfreiheit bei Themenwahl, Ausdrucksform und Arbeitsweise; Balance von Prozess- und Produktorientierung; genügend Zeit für soziales und emotionales Lernen; Stärkung präsentativ-symbolischer Ausdrucksformen durch die Integration von Bildern, Musik und Körpersprache. Ansätze einer lebensweltorientierten Medienarbeit erwiesen sich für die Entwicklung einer milieusensiblen Medienkompetenzförderung als besonders geeignet (Niesyto 2006, 2010). > Siehe hierzu die Filmbeispiele in den Praxisforschungsprojekten > VideoCulture und > Children in Communication about Migration

Verbindung von Medienproduktion mit Medienreflexion

In der Eigenproduktion mit Medien können auf anschaulicher und praktischer Grundlage auch reflexive Prozesse gefördert werden, z. B. bei der Themenfindung und bei Überlegungen zur Zielgruppe und der Öffentlichkeit, beim  Entwickeln eines Storyboards, beim Auswählen von Bildern und Tönen, beim Schnitt des Materials und bei der Auseinandersetzung mit dem Feedback auf Eigenproduktionen. Reflexiv ist dieser Prozess dann, wenn nicht nur Aktivitäten und Eindrücke aneinandergereiht, sondern aus dem Modus der Produktion heraus Möglichkeiten für Reflexionsanlässe und Differenzerfahrungen anhand der Auseinandersetzung mit den selbst erstellten Materialien eröffnet werden. Gerade auf der Basis einer handlungsorientierten Medienpraxis ist es auch möglich, medienkritische Überlegungen zum sozial verantwortlichen Umgang mit Medien und zur ästhetischen Struktur von Medien in Bildungsprozesse einzubringen.

Aktive Medienarbeit im digitalen Zeitalter

Mit der Digitalisierung der Medien und den damit verknüpften technischen, ästhetischen und kommunikativen Möglichkeiten eröffneten sich neue Zugänge und Potenziale für medialen Selbstausdruck, Erfahrungsbildung und Kommunikation, die über die Eigenproduktion mit analogen Medien weit hinaus reichen. Dazu gehören vor allem breite Zugänge zu mobilen Digitalmedien und neue ästhetische Gestaltungsmöglichkeiten (mit Apps für Ton, Foto und Video, inkl. Schnitt), das Erreichen großer Öffentlichkeiten durch Foto- und Videoplattformen im Internet, interaktive Möglichkeiten z.B. durch Weblogs. Um das Spektrum der Gestaltungsmöglichkeiten bei Digitalmedien kennenzulernen, ist nach wie vor die Förderung von Bild- und Filmkompetenz eine wichtige Aufgabe (Niesyto 2019).

MakerSpace-Projekte

Die aktive Medienarbeit steht vor der Herausforderung, in formalen, non-formalen und informellen Bildungskontexten bisherige Angebote weiterzuentwickeln, um Kinder, Jugendliche und Erwachsene darin zu unterstützen, sich Medienkompetenzen vertieft anzueignen. Exemplarisch hierfür sind MakerSpace-Projekte zu nennen, die unter Einbezug von analogen und digitalen Werkstoffen Eigenproduktionen im Kontext kreativer und kollaborativer Arbeitsprozesse fördern (u.a. Maurer / Ingold 2021; Praxisbeispiel aus dem schulischen Bereich). Notwendig ist die systematische Weiterentwicklung von zeitgemäßen Konzepten aktiver Medienarbeit, die auch Aspekte informatischer Bildung integrieren.

Auch im Schnittfeld von Medienpädagogik und politisch-kultureller Bildung ergeben sich gute Möglichkeiten, die aktiv-produktive, kreative und kritisch-reflexive Nutzung digitaler Medien handlungsorientiert zu erschließen (Beispiele: Projekt Jugend hackt, Link; Projekt Reuchlin digital, Autenrieth/Baumbusch/Marquardt 2020; Link).


Publikationen

  • Niesyto, Horst (2019: Ergebnisse des Entwicklungsprojekts dileg-SL. Kernpunkte in teilprojektübergreifender Perspektive. In: Digitale Medien in der Grundschullehrerbildung. Erfahrungen aus dem Projekt dileg-SL, hrsg. von Thorsten Junge und Horst Niesyto. Schriftenreihe Medienpädagogik interdisziplinär, Band 12. München: kopaed, S. 207-232. Link
  • Autenrieth, Daniel / Marquardt, Anja unter Mitwirkung von Thorsten Junge und Horst Niesyto (2007): Neue Formen des digitalen Lernens – fächerübergreifende Arbeit mit dem iPad. Konzeptionelle Grundlagen und Erfahrungswerte aus dem Teilprojekt 2 von dileg-SL. In: Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik, Nr. 19 (2017) (19 Seiten). Link
  • Niesyto, Horst (2010): Handlungsorientierte Medienarbeit. In: Handbuch Mediensozialisation, hrsg. von Ralf Vollbrecht und Claudia Wegener. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 396-403. Preprint
  • Niesyto, Horst (2009): Aktive Medienarbeit. In: Handbuch der Erziehungswissenschaft, hrsg. von Gerhard Mertens, Ursula Frost, Winfried Böhm, Volker Ladenthien. Band III/2, bearbeitet von Norbert Meder, Cristina Allemann-Ghionda, Uwe Uhlendorff, Gerhard Mertens, Paderborn 2009, Verlag Ferdinand Schöningh, S. 855-862.
  • Niesyto, Horst (2009): Medienästhetik und Eigenproduktionen mit Video. Befunde aus der Jugendvideoarbeit mit Jugendlichen in Hauptschulmilieus. In: Medienästhetik in Bildungskontexten, hrsg. von Peter Imort, Renate Müller, Horst Niesyto. Reihe „Medienpädagogik Interdisziplinär“, Band 7. München: Verlag kopaed, S. 45-58.
  • Niesyto, Horst (2006): Projektarbeit mit Kindern und Jugendlichen aus sozial und bildungsmäßig benachteiligenden Milieus. In: Dieter Baacke Preis. Methoden und Konzepte medienpädagogischer Projekte. Handbuch 1, hrsg. von Jürgen Lauffer und Renate Röllecke. Bielefeld: AJZ Druck & Verlag, S. 42-50.
  • Niesyto, Horst (2006): Jugend, Medien und symbolischer Selbstausdruck. In: Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik, Nr. 8 (2006).
  • Niesyto, Horst (2004): Medienpädagogik und soziokulturelle Unterschiede. Langfassung einer Studie auf der Basis von Experten-Interviews in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Ludwigsburg: Verlag Pädagogische Hochschule Ludwigsburg (Reprint). ISBN: 3-924080-27-5 (132 Seiten)
  • Niesyto, Horst (1993): Erstes Bromischer Fernsehen und Video-Magazin. Jugendliche auf dem Land eignen sich mit Medien soziale Räume an. In: Handlungsorientierte Medienarbeit. Video, Film, Ton, Foto, hrsg. von Gerd Brenner und Horst Niesyto. Reihe Praxishilfen für die Jugendarbeit. Weinheim und München: Juventa, S. 48-52.
  • Niesyto, Horst (1993): Die Füße. Ein Videofilm von Mädchen über den Medienalltag. In: Handlungsorientierte Medienarbeit. Video, Film, Ton, Foto, hrsg. von Gerd Brenner und Horst Niesyto. Reihe Praxishilfen für die Jugendarbeit. Weinheim und München: Juventa, S. 52-57.
  • Schulz, Peter / Niesyto, Horst (1993): Erfahrungen als Teamer in der Jugendvideoarbeit. Ein Gespräch. In: Handlungsorientierte Medienarbeit. Video, Film, Ton, Foto, hrsg. von Gerd Brenner und Horst Niesyto. Reihe Praxishilfen für die Jugendarbeit. Weinheim und München: Juventa, S. 126-135.

Vorträge

  • 07.02.2020, Darmstadt: Institut für Medienpädagogik und Kommunikation. Vortrag: „Digitale Medien in der Grundschule. Erfahrungen aus einem Praxisprojekt“
  • 29.03.2017, Frankfurt/Main: Fachtagung fraMediale 2017: „Spannung? Potenziale!“. Veranstalter: Frankfurt University of Applied Sciences. Impulsvortrag in einem Workshop zum Thema “Digitales Lernen in der Grundschule“ (zusammen mit Daniel Autenrieth und Katrin Schlör)
  • 12.04.2014, Stuttgart: Youth Media Summit – Jugendmedienkongress. Veranstalter: Jugendpresse Baden-Württemberg. Eröffnungsvortrag: „Wozu Medienbildung?“ (zusammen mit Daniel Autenrieth)
  • 28.03.2007, Ludwigsburg: Kunstpädagogischer Kongress „Kunst bewegt“. Veranstalter: Kultusministerium Baden-Württemberg und Abteilung Kunst (PH Ludwigsburg). Workshop-Beitrag zum Thema „VideoCulture – Video als Ausdrucksmittel“
  • 07./08.02.2003, Berlin: Arbeitstreffen der Fachgruppe „Kinder und Jugendliche“ der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK). Impulsvortrag: „Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation außerschulischer Medienarbeit mit Schule. Aufgaben, Bedingungen und Kompetenzen außerschulischer Medienarbeit“

Aktive Medienarbeit und Hochschullehre

Es gibt viele Möglichkeiten, Formen aktiver Medienarbeit auch in die Hochschullehre zu integrieren. Sie reichen von Basiskursen zur Gestaltung/Produktion mit Medien über die Verknüpfung von Seminarthemen mit dokumentarischen Aufgaben (z.B. im Rahmen von Exkursionen) bis hin zu Seminaren, in denen das Erstellen von medialen Eigenproduktionen eine besondere Bedeutung hat. Hier zwei Beispiele aus der eigenen Seminarpraxis:

  • Im Rahmen des Entwicklungsprojekts „Digitales Lernen Grundschule“ (dileg-SL) gab es im Wintersemester 2016/17 und im Sommersemester 2018 ein Seminarangebot im Teilprojekt 2 „Neue Formen des digitalen Lernens – fächerübergreifender Unterricht mit dem iPad“. Die Studierenden konnten sich mit den technisch-gestalterischen Grundlagen für digitale Medienproduktionen in Verbindung mit der Planung und Umsetzung von Unterrichtseinheiten vertraut machen. Die Dokumentation dieses Teilprojekts (Autenrieth et al. 2017) informiert über die verschiedenen disziplinären Perspektiven, die Seminarkonzeption und  fasst die Erfahrungen aus der Pilot- und der Durchführungsphase zusammen. In der Buchpublikation zum gesamten Projekt finden sich in allen Beiträgen zu Ludwigsburger Teilprojekten Darstellungen und Reflexionen, wie Formen aktiver Medienarbeit von Studierenden erprobt wurden (vgl. Junge / Niesyto 2019, Onlineversion).

Beispiel: Videofilm „Das Gespenst“ (01:02 min), Seminarproduktion von Studierenden im dileg-Teilprojekt 2

  • Im Seminarprojekt „Lebenswelt Hochschule“ konnten Studierende mit verschiedenen Studienprofilen und -schwerpunkten im Wintersemester 2004/05 gemeinsam an einer sechs Semesterwochenstunden umfassenden interdisziplinären Veranstatung der Fächer Kunst (Bettina Uhlig), Medienpädagogik (Horst Niesyto) und Musik (Peter Imort) teilnehmen. Ausgangspunkt war der Begriff Lebenswelt, der nicht nur theoretisch erörtert, sondern auch medial-künstlerisch-musikalisch erkundet wurde: „Im Spannungsfeld zwischen vorgefundenen räumlichen Situationen, der spezifischen Zeitstruktur einer Hochschule und den biografischen Erfahrungen des Einzelnen entfaltete sich so ein komplexes und vieldeutiges lebensweltliches Feld, das schließlich Ausgangspunkt der eigenen Projekte der Studierenden wurde“ (> Editorial zur Projektdokumentation; in: Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik, Ausgabe 8/2006). Die Dokumentation informiert über den Seminarplan und die Produktionen der Studierenden (inkl. Aussagen von Studierenden zu ihren Intentionen, dem Arbeitsprozess und einer zusammenfassenden Reflexion).
    • Beispiel: Projekt von Matthias Frede: „Lebenswelt – Lebensweg – Lebenslinie“;  Projektinfo > Link
    • Videofilm „Lebenswelt – Lebensweg – Lebenslinie“ (01:48 min)

Für eine > Grundbildung Medien aller pädagogischen Fachkräfte sind Seminarangebote zur Förderung von Medienkompetenzen und medienpädagogischen sehr wichtig. Massenvorlesungen können Grundlagen- und Orientierungswissen vermitteln, ersetzen jedoch nicht Seminarangebote für die Aneignung fachlich fundierter und reflektierter Handlungskompetenzen. Hierfür haben die Hochschulen und die Bundesländer ausreichend Mittel für Fachpersonal und technische Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen. > Medienpädagogik und Politik