Professionalisierung
Zur disziplinären Verortung der Medienpädagogik
Es gibt in der Medienpädagogik unterschiedliche theoretisch-konzeptionelle Akzentsetzungen, die nicht zuletzt auch damit zusammenhängen, dass die Medienpädagogik ein sehr komplexer Bereich ist und sich Kollegen*innen auf verschiedene Teilbereiche konzentrieren, in denen unterschiedliche Traditionslinien und Rahmenbedingungen vorhanden sind. Medienpädagogik als wissenschaftliche Teildisziplin der Erziehungswissenschaft hat ihren Hauptbezugspunkt in der Erziehungswissenschaft und setzt sich vor allem mit Fragen der Mediensozialisation, der Medienerziehung, der Förderung von Medienkompetenz und Medienbildung und dem Lehren und Lernen mit Medien (Mediendidaktik) auseinander. Wichtige disziplinäre Referenzen bestehen vor allem zur Medienwissenschaft, zur Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, zur Mediensoziologie, zur Medienpsychologie, zur Medieninformatik und zur Medienethik.
Diskurs zu medienpädagogischen Leitbegriffen
2010/11 entwickelte sich ein Diskurs über den Inhalt und den wechselseitigen Bezug medienpädagogischer Leitbegriffe (vgl. Moser/Grell/Niesyto 2011, Link). Dieser Diskurs versuchte, Transparenz hinsichtlich unterschiedlicher Begriffsverständnisse und Zugänge zu den Gegenstands- und Aufgabenbereichen der Medienpädagogik herzustellen. Der Diskurs zeigte, dass es mehr um die Akzentuierung unterschiedlicher Aspekte und weniger um sich ausschließende Theoriekonzepte geht. So betont z. B. Medienbildung die Medialität der selbstgesteuerten Lern- und Bildungsprozesse und prozessbezogene medienpädagogische Aufgaben. Der Medienkompetenzbegriff akzentuiert medienbezogenes Wissen, Können und Einstellungen und damit verbundene Bewertungs- und Handlungsfähigkeiten, die entweder vorhanden oder die im Sinne von Zielen und Kompetenzniveaus anzustreben sind. Der Diskurs war wichtig, um innerhalb der akademischen Disziplin der Medienpädagogik Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und im politisch-gesellschaftlichen Raum einem grob vereinfachenden und instrumentalisierenden Gebrauch dieser Schlüsselbegriffe entgegenzuwirken.
Umfassendes Verständnis von Medienbildung
In einer Expertenkommission des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gelang es Vertreter*innen aus unterschiedlichen Institutionen, aus Wissenschaft und Praxis, aus Bildung und Weiterbildung, ein umfassendes Verständnis von Medienbildung und Medienkompetenz zu konturieren. Mit dem Bericht Kompetenzen in einer digital geprägten Kultur (BMBF 2010) rückte die Kommission Medienbildung und Medienkompetenz für die Persönlichkeitsentwicklung, für die gesellschaftliche Teilhabe und für die Entwicklung von Ausbildungs- und Erwerbsfähigkeit deutlich ins Blickfeld. Betont werden nicht ein kanonisiertes Medienwissen und engmaschig von Experten gestrickte Medienkompetenzniveaus, sondern die prozesshafte Entwicklung von medienbezogenen Bildungs- und Lernanlässen in sozialen Kontexten.
„Digitale Medien nutzen, ihre Potenziale verstehen, sie kritisch beurteilen, mit ihnen interagieren und sie gestalten und mit Medien am sozialen Leben und an der Gesellschaft teilhaben. Besondere Aufmerksamkeit muss jungen Menschen aus benachteiligten Milieus gelten, denen mit den Digitalen Medien Möglichkeiten der Teilhabe aufgezeigt und eröffnet werden können.“ (BMBF-Bericht 2010, S. 7)
Bildungs- und professionspolitische Aktivitäten
Die inhaltliche Diskussion um medienpädagogische Leitbegriffe und die Artikulation eines umfassenden Verständnisses von Medienbildung und Medienkompetenz korrespondierte mit bildungs- und professionspolitischen Aktivitäten (> Initiative KBoM), insbesondere dem Medienpädagogischen Manifest (2009) und dem Medienpädagogischen Kongress (2011). Die damals intensive Öffentlichkeitsarbeit trug dazu bei, dass ein breites und umfassendes Verständnis von Medienbildung und Medienkompetenz Eingang in diverse bildungspolitische Dokumente, Erklärungen und Beschlüsse fand. Zu nennen sind u.a. der Beschluss der Kultusministerkonferenz von 2012, die Dokumente der Enquetekommission Internet des Deutschen Bundestags von 2012/13 und der „Dialog über Deutschlands Zukunft“ (Bundeskanzleramt 2012) sowie mehrere Dokumente auf Ebene der Bundesländer (vgl. KBoM 2012). Auch die Forderung nach einer > medienpädagogischen Grundbildung wurde von verschiedenen Gremien und Organisationen aufgegriffen. Mit Blick auf die Umsetzung von bildungspolitischen Erklärungen und Beschlüssen ist die Bilanz in den Folgejahren jedoch eher ernüchternd (> Medienpädagogik und Politik).
Das Berufsbild „Medienpädagoge*in“ weiter konturieren
Angesichts diverser Bestrebungen, das Wort „Medienpädagogik“ für die unterschiedlichsten Interessen zu nutzen, ist die medienpädagogische Community gefordert, Qualitätsstandards sicherzustellen und weiter an der Konturierung für das Berufsbild „Medienpädagoge*in“ zu arbeiten. So hat die Sektion Medienpädagogik der DGfE mit dem Orientierungsrahmen Medienpädagogik (2017) für den Hochschulbereich eine Empfehlung erarbeitet, die an einem umfassenden Verständnis von Medienbildung festhält:
Der Orientierungsrahmen Medienpädagogik benennt zentrale Kompetenzfelder für medienpädagogische Studienanteile und Studiengänge: Grundbegriffe und Fragestellungen der Medienpädagogik; rahmende Strukturen medienpädagogischen Handelns; Medienangebote und Medienwelten; medienpädagogische Konzeptionen, Modelle und Theorien; Ergebnisse und Methoden medienpädagogischer Forschung; medienpädagogische Praxissituationen; Bildungsangebote und institutionelle Bedingungen medienpädagogischen Handelns. Diese Kompetenzfelder werden unter der Perspektive von Erziehung, Bildung und Didaktik thematisiert. Mit diesen Kompetenzfeldern ist Medienbildung zugleich anschlussfähig an zentrale erziehungswissenschaftliche Kategorien und Konzepte. Außerdem umfassen diese Kompetenzfelder wichtige Referenzen auf relevante Nachbardisziplinen wie z. B. Kommunikationswissenschaft, Medien(kultur)wissenschaft, Informatik, Mediensoziologie, Medienpsychologie, Medienphilosophie.
Der Orientierungsrahmen Medienpädagogik betont auch die Notwendigkeit der Weiterentwicklung medienpädagogischer Theorien und Aufgabenstellungen. Dies bedeutet auch, informatische Aspekte z.B. in eine Grundbildung Medien zu integrieren. Aber eine solche Integration und Kooperation kann nicht auf Kosten von Kernbereichen der Medienpädagogik gehen (umgekehrt gilt dies sicherlich auch für die informatische Bildung). Deshalb bedarf es gut abgestimmter Konzepte für eine Grundbildung Medien zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen. Des Weiteren empfiehlt die Sektion Medienpädagogik den zuständigen Gremien, dass an jeder Hochschule, an der Fachkräfte für pädagogische Tätigkeitsfelder ausgebildet werden, mit Blick auf die jeweiligen Studierendenzahlen und Studiengänge medienpädagogische Professuren mit entsprechenden Mitarbeiter*innen-Stellen einzurichten sind (S. 6).
Nicht zuletzt angesichts einer zunehmenden Kommerzialisierung im Bildungsbereich kommt der Qualitätssicherung pädagogischer Materialien eine wichtige Bedeutung zu. Dies betrifft nicht nur Hochschulen sondern den gesamten Bildungsbereich, auch die Fort- und Weiterbildung. Ein weiterer Punkt ist die teilweise schlechte Bezahlung von freien Mitarbeiter*innen in der medienpädagogischen Fort- und Weiterbildung. Hier wäre es wichtig, eine bundesweite Erhebung zur Situation und den Bedarfen durchzuführen – auch dies ist eine Frage medienpädagogischer Professionalisierung. Auch wäre es eine Aufgabe der führenden medienpädagogischen Fachorganisationen, in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit Angaben zum Berufsbild von Medienpädagog*innen zu präzisieren. Zu weiteren Aspekten und Handlungsfeldern siehe u.a. den von Thomas Knaus, Dorothee Meister und Kristin Narr herausgegebenen Sammelband Futurelab Medienpädagogik: Qualitätsentwicklung – Professionalisierung – Standards (2018, Link).
Die gesellschaftliche Verantwortung der Medienpädagogik
In einer historischen Epoche, in welcher Mediatisierung und Digitalisierung nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche nachhaltig verändern, wird Medienbildung zu einer Kernaufgabe von Bildung. In einer Situation, in der global agierende Medienkonzerne, Wirtschaftsunternehmen und andere Einrichtungen und Organisationen immer extensiver persönliche Daten ausspähen und für ihre jeweiligen Zwecke verwenden, ist es wichtig, an dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung festzuhalten. Es ist wichtig, angesichts einer allumfassenden Quantifizierung und Vermessung von Leben und Gesellschaft Fragen nach Sinn und Bedeutung jenseits dieser quantifizierenden Prozessstrukturen zu stellen. Hierfür sollte eine kritisch-reflexive und politisch-kulturelle Medienbildung Gelegenheiten eröffnen und Kinder, Jugendliche und Erwachsene darin unterstützen, digitale Medien selbstbestimmt und kompetent zu nutzen. Dabei geht es nicht nur um die Potentiale digitaler Medien für Bildung, Lernen und Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch um eine Auseinandersetzung mit medialen Problemfeldern, sozialen und gesellschaftlichen Kontexten.
Es gibt keine Persönlichkeitsbildung unabhängig von medial-gesellschaftlichen Kontexten. Medienpädagogik als kritische Medien- und Gesellschaftsanalyse und zugleich als subjektorientierte, reflexive Handlungswissenschaft und pädagogisches Arbeitsfeld zu entwickeln, ist kein Widerspruch – beides ist notwendig: zum einen die Orientierung an den Menschen, ihren Bedürfnissen und Formen der Lebensbewältigung, zum anderen aber auch die Auseinandersetzung mit strukturellen gesellschaftlich-medialen Mustern und Interessen, die die Wahrnehmung, das Verhalten und das Denken der Menschen beeinflussen. Medienpädagogik hat gerade in der Perspektive von Medienkritik auch die Aufgabe, Problemlagen zu thematisieren, Hintergründe aufzuzeigen und zum Bestandteil von Bildungsprozessen zu machen.
Publikationen
- Niesyto, Horst (2018): Under Digital Fire. Herausforderungen für die medienpädagogische Professionalisierung. In: Futurelab Medienpädagogik. Qualitätsentwicklung – Professionalisierung – Standards, hrsg. von Thomas Knaus, Dorothee M. Meister, Kristin Narr. München: kopaed, S. 49-69. Vortrag (Videoaufzeichnung)
- Niesyto, Horst (2017): Hochschule. In: Grundbegriffe Medienpädagogik (6. Auflage), hrsg. von Bernd Schorb, Anja Hartung und Christine Dallmann. München: kopaed, S. 141-148.
- Niesyto, Horst (2017): Topics and Key Areas in Current Media Pedagogical Discussions. In: Religious Education in a Mediatized World, edited by Ilona Nord and Hanna Zipernovsky. Stuttgart: Kohlhammer, pp. 171-188. (e-Book) Preprint
- Niesyto, Horst (2016): Keine Bildung ohne Medien! – Kritische Medienbildung jenseits funktionalisierender Vereinnahmung. In: Wi(e)derstände. Digitaler Wandel in Bildungseinrichtungen, hrsg. von Thomas Knaus und Olga Engel. framediale Band 5. München: kopaed, S. 17-34.
- Niesyto, Horst (2014): Medienpädagogische Professionalisierung, Berufsbild und Berufschancen. In: Prekarisierung der Pädagogik – Pädagogische Prekarisierung? Erziehungswissenschaftliche Vergewisserungen, hrsg. von Fabian Kessl, Andreas Polutta, Isabell Ackeren, Rolf Dobischat, Werner Thole. Weinheim: Beltz Juventa, S. 114-128.
- Moser, Heinz / Grell, Petra / Niesyto, Horst (Hrsg.) (2011): Medienbildung und Medienkompetenz. Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik. München: kopaed. ISBN: 978-86736-205-4 (273 Seiten) Onlineversion
- Niesyto, Horst (2011): Zur Initiative „Keine Bildung ohne Medien!“. In: Initiative Keine Bildung ohne Medien!“ (Hrsg.): Bildungspolitische Forderungen. Medienpädagogischer Kongress 2011. Ludwigsburg, S. 4. (Ergebnisbroschüre zum Kongress 2011, 20 Seiten)
- Niesyto, Horst (Hrsg.) (2011): Keine Bildung ohne Medien! Positionen, Personen, Programm und Perspektiven. Medienpädagogischer Kongress 2011 in Berlin, hrsg. von Horst Niesyto. München: kopaed. ISBN: 978-3-86736-200-9 (136 Seiten)
- Niesyto, Horst (2005): Visionen zur Medienkompetenz. Interview im Rahmen einer Expertenbefragung der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur. Bielefeld. (In: Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik, Ausgabe 8/2006; Interview und Dokumentation der Gesamtauswertung der GMK zur Expertenbefragung)