Medienpädagogische Praxisforschung
Gegenstand medienpädagogischer Praxisforschung
Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Medien, Menschen, Bildung und Gesellschaft sind ein sehr komplexer Untersuchungsgegenstand. In der medienpädagogischen Forschung geht es um ein breites Spektrum an Themen, Forschungsbereichen und -richtungen, insbesondere um Forschung zu bildungsrelevanten Aspekten der gesellschaftlichen Medienentwicklung, zur Medienaneignung und Mediensozialisation, zur medienpädagogischen Praxis in verschiedenen Handlungsfeldern und zur medienpädagogischen Professionsentwicklung. Hinzu kommen spezifische Forschungsfelder wie z. B. Computerspiele, Visualität und Weltaneignung, Medien und Sprachförderung, Medien und Wertevermittlung oder zu forschungsmethodischen Aspekten (z. B. Methoden der Online-Ethnografie, computergestützte Foto- und Videoanalysen).
Medienpädagogische Praxisforschung ist ein Teilbereich medienpädagogischer Forschung. Gegenstand medienpädagogischer Praxisforschung sind pädagogisch arrangierte Bildungs- und Lernprozesse mit Medienbezug. Im Fokus des Interesses stehen die systematische Begleitung, Dokumentation, Analyse und Auswertung medienpädagogischer Aktivitäten und Prozesse in verschiedenen Handlungsfeldern. Hierzu gehören insbesondere mediendidaktische Lernarrangements, Projekte im Bereich der aktiv-produktiven Medienarbeit sowie medienerzieherische und weitere medienbildnerische Aktivitäten. Es geht um professionelle Beobachtung und Selbstbeobachtung und um die Gewährleistung einer hinreichenden Distanz bei der Dokumentation und Auswertung von Praxisaktivitäten. Dabei sollten Zusammenhänge zwischen formalen, informellen und non-formalen Bildungs- und Lernkontexten beachtet werden.
Unterschiedliche Perspektiven und Grundformen medienpädagogischer Praxisforschung
Medienpädagogische Praxisforschung lässt sich grundsätzlich aus zwei unterschiedlichen Perspektiven heraus entwickeln:
- Aus der Binnenperspektive von Praktiker*innen, die ihre eigene Praxis selbst beobachten, reflektieren und evaluieren. Formen einer professionellen Selbstbeobachtung (und Selbstevaluation) sind nicht nur für eine reflektierte pädagogische Alltagspraxis, sondern insbesondere für dialogische und partizipative Forschungsansätze wichtig.
- Aus der Außenperspektive von Wissenschaftler*innen, die medienpädagogische Praxis begleiten, dokumentieren, analysieren und evaluieren. Hierzu gehören Formen einer Praxisforschung, die in unterschiedlicher Akzentuierung theoriegeleiteter, hypothesenorientierter, explorativer, entwicklungsorientierter oder evaluativer Ansätze medienpädagogische Praxis mit wissenschaftlich anerkannten Methoden systematisch begleiten und auswerten und das gewonnene Wissen in die Sprache des Praxissystems rückübersetzen.
In der medienpädagogischen Praxisforschung haben sich unterschiedliche Grundformen herausgebildet, die von evaluationsbezogenen über entwicklungs- und gestaltungsorientierten bis hin zu partizipativen Praxisforschungsansätzen reichen (vgl. Niesyto 2014, S. 174 f.). Es gibt auch Mischformen und Bezüge z.B. zu medienethnographischen, medienbiographischen und mediensozialisatorischen Forschungsansätzen.
Medienpädagogische Praxisforschung gehört zu den Grundlagen der Medienpädagogik
Medienpädagogische Praxisforschung wurde zunächst in Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation von Modellprojekten entwickelt. Die kontinuierliche und systematische wissenschaftliche Erforschung medienpädagogischer Praxis und pädagogischer Interaktionen sollte aber genuin zu den Grundlagen der Medienpädagogik gehören. Es geht nicht nur um die Anwendung von Konzepten und singuläre Evaluationsstudien – medienpädagogische Praxisforschung umfasst unterschiedliche Formen der Entwicklung und der empirischen Analyse medienpädagogischen Handelns, die auf konzeptionelle Weiterentwicklung und Theoriebildung abzielt. Medienpädagogik ist nicht nur eine akademische Teildisziplin – als ein pädagogisches Handlungsfeld mit einem breiten Spektrum von Praxisaktivitäten ist Medienpädagogik in besonderer Weise auf Theorie-Praxis-Zusammenhänge angewiesen. Hierfür kommt einer systematischen medienpädagogischen Praxisforschung eine zentrale Bedeutung zu.
Bilanz zu eigenen Projekten medienpädagogischer Praxisforschung
Während meiner Zeit an der PH Ludwigsburg versuchte ich, medienpädagogische Praxisforschung in Forschung, Lehre und auch im Publikationsbereich zu stärken:
- Durchführung mehrerer Forschungsprojekte, die einen deutlichen Schwerpunkt auf medienpädagogische Praxisforschung legten, insbesondere im Rahmen aktiver Medienarbeit (siehe vor allem die Projekte > VideoCulture, > Children in Communication about Migration und > Medienpädagogik und soziokulturelle Unterschiede). In dem Beitrag Medienpädagogische Praxisforschung (Niesyto 2014) werden projektübergreifend Forschungsbefunde herausgearbeitet (siehe hierzu auch Niesyto 2009), methodische Weiterentwicklungen insbesondere zu > visuellen Methoden reflektiert und der Forschungsansatz > Eigenproduktionen mit Medien auf die internationale Forschungssituation bezogen.
- Herausgabe der Schriftenreihe Medienpädagogische Praxisforschung im Verlag kopaed (München). In der Reihe sind 11 Bände zu unterschiedlichen Themen und medienpädagogischen Handlungsfeldern erschienen. Die Schriftenreihe ist offen für medienpädagogische Projektstudien, Dissertationen und besonders gelungene Abschlussarbeiten (Diplom-, Magister-, Masterarbeiten).
- Forschendes Lernen: regelmäßiges Seminarangebot zum Thema „Praxisforschung und Evaluation“, um Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich grundlegende Elemente für eine medienpädagogische Praxisforschung anzueignen und in Mini-Studien erste Erfahrungen mit dem Forschungsansatz zu sammeln (Seminarkonzept). In das Seminar waren auch Gastbeiträge zu visuellen Methoden (Dr. Peter Holzwarth, PH Zürich) und zu verschiedenen Auswertungsmethoden integriert (Doktorand*innen: Einblicke in aktuelle Forschungsstudien). Beispiel für eine Studie im Rahmen einer Modulprüfungsarbeit: Maximiliane Streckfuß (2014): Untersuchung des Geschlechterverständnisses Jugendlicher mithilfe von Fotografie. In: Onlinemagazin Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik, Ausgabe 17 (2014).
Es ist wünschenswert, medienpädagogische Praxisforschung künftig auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlicher Intensität zu gestalten:
- von Formen einer verstärkten Reflexion und Selbstevaluation, die pädagogische Fachkräfte mit Unterstützung von Wissenschaftler*innen in ihren Praxisfeldern durchführen,
- über Formen forschenden Lernens in Forschungswerkstätten, die Studierende in Hochschulseminaren für Praxisforschung motivieren und qualifizieren,
- bis hin zu systematisch und breiter angelegten Studien, die von Wissenschaftler*innen zu unterschiedlichen Themen und mit unterschiedlichen Forschungssettings realisiert werden (siehe hierzu die Schriftenreihe Medienpädagogische Praxisforschung, verschiedene Beiträge im Jahrbuch Medienpädagogik 10 sowie in der Forschungswerkstatt Medienpädagogik).
Hierfür ist medienpädagogische Praxisforschung in Verbindung mit einer breitenwirksamen und nachhaltigen Medienbildung erheblich auszubauen. Dies forderte bereits 2011 der Medienpädagogische Kongress:
Auf dem > Medienpädagogischen Kongress (2011) wurde die Förderung einer medienpädagogischer Praxis- und Evaluationsforschung als eine wichtige Aufgabe festgehalten :
„Einzurichten sind medienpädagogische Forschungswerkstätten an Hochschulen und in Zusammenarbeit mit (außeruniversitären) medienpädagogischen Forschungsinstituten, die zur systematischen Dokumentation und Auswertung medienpädagogischer Praxis in verschiedenen Handlungsfeldern beitragen und Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung der Praxis erarbeiten. Bei der Förderung medienpädagogischer Modellprojekte muss die Evaluierung insbesondere im Hinblick auf Kriterien der Nachhaltigkeit verpflichtend werden. Finanzielle Förderung durch Drittmittelgeber auf Bundes- und Länderebene, auch durch Landesmedienanstalten.“ (Initiative Keine Bildung ohne Medien! 2011, S. 17)
Mit diesen Vorschlägen verbindet sich zugleich die Forderung nach einer erheblichen Verbesserung der Rahmenbedingungen an Hochschulen (> Medienpädagogik und Politik).
Publikationen
- Niesyto, Horst (2014): Medienpädagogische Praxisforschung. In: Jahrbuch Medienpädagogik 10. Methodologie und Methoden medienpädagogischer Forschung, hrsg. von Anja Hartung, Bernd Schorb, Horst Niesyto, Heinz Moser, Petra Grell. Wiesbaden: Springer VS Verlag, S. 173-191. Link Preprint
- Niesyto, Horst (2009): Medienästhetik und Eigenproduktionen mit Video. Befunde aus der Jugendvideoarbeit mit Jugendlichen in Hauptschulmilieus. In: Medienästhetik in Bildungskontexten, hrsg. von Peter Imort, Renate Müller, Horst Niesyto. Schriftenreihe Medienpädagogik interdisziplinär, Band 7. München: kopaed, 45-58. Link
- Niesyto, Horst (2007): Eigenproduktionen mit Medien als Gegenstand medienpädagogischer Praxisforschung. In: Jahrbuch Medienpädagogik 6. Medienpädagogik – Standortbestimmung einer erziehungswissenschaftlichen Disziplin, hrsg. von Werner Sesink, Michael Kerres, Heinz Moser. Wiesbaden: VS Verlag, S. 222-245. Link
- Niesyto, Horst / Holzwarth, Peter (2007): Kultureller Selbstausdruck und Identitätsbildung im Kontext videopädagogischer Praxisforschung mit Kindern und Jugendlichen aus Migrationskontexten. In: Medien und Migration. Europa als multikultureller Raum? Hrsg. von Heinz Bonfadelli und Heinz Moser. Wiesbaden: VS Verlag, S. 327-346.
Vorträge
18.01.2013, Bern: Fachtagung „Visuelle Methoden in der Forschung“. Veranstalter: PH Bern (Austauschtreffen mit PH Zürich und PH Ludwigsburg). Vortrag: „Erkenntnisgewinn durch den Einsatz visueller Methoden im Kontext medienpädagogischer Praxisforschung“ Vortragsfolien
03./04.11.2011, Leipzig: Fachtagung: „Methodologie und Methoden medienpädagogischer Forschung“. Veranstalter: Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig, Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft. Vortrag: „Medienpädagogische Praxis- und Begleitforschung“ (03.11.2011)
21.-24.03.2004, Zürich: Internationaler Kongress: „Bildung über die Lebenszeit“ an der Universität Zürich. Veranstalter: Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Schweizerische Gesellschaft für Bildungsforschung und weitere Organisationen. Vortrag in der AG 39 („Medien und Migration“): „Medienpädagogische Praxisforschung mit Kindern und Jugendlichen aus Migrationskontexten“ (24.03.2004, zusammen mit Peter Holzwarth). Die Verschriftlichung des Vortrags erschien in: Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik, Ausgabe 5/2004. Link